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In der Victoria Bar

Thomas Leinkauf am 11.02.2006 

Wir kennen das ja: Du sitzt in der Bar und beim dritten oder vierten Drink kommt der Hunger, obwohl du schon sechs Teller Erdnüsse abgeräumt hast. Furchtbar. Nichts ist schlimmer als Erdnüsse zum Cocktail, höchstens noch diese trockenen Salzstangen oder faden Tapas mit Einheitsdip oder Avocadocreme. Das verdirbt einem alle Lust am Trinken und hat mit Cocktail-Kultur gar nichts zu tun.

Weiß der Teufel, wie die Verlotterung der Sitten in die Bars gekommen ist, früher soll es das jedenfalls nicht gegeben haben. Früher war sowieso alles besser, in der goldenen Cocktailzeit, als in Las Vegas Ceasars Salat erfunden wurde und halb Amerika Martinis trank. Okay, Dips gibt es in der Victoria Bar in der Potsdamer Straße immer noch - Curry-Mango, Aubergine-Paprika, Ajo-Aceite, alles 2,50 Euro -, dazu ofenfrisches Baguette, hat ja wohl doch seine Liebhaber und kostet nicht viel. 

Aber Stefan Weber und seine Leute wollen zeigen, dass es auch anders geht. Eigentlich wollten sie das schon länger, aber es gab keinen Raum für eine Küche, bis vor ein paar Monaten "Mr. Curry", die Bratwurstbude nebenan, frei wurde. Dann fanden sie, das kann man als Glücksfall bezeichnen. Das Gerüst der Karte in der Viktoria Bar sind die Klassiker der amerikanischen Hotelbarküche: Caesars Salat (9,50 Euro), klare Oxtailsoup mit Käsestange (4,50), Roastbeaf mit Bratkartoffeln und Sauce Remoulade (9,50), ein Clubsandwich (9,50), Rindersteak (14,50). Es gibt eine wechselnde Palette saisonaler Delikatessen, ein Dessert, Käse mit Obst und Nüssen (6,50).

Wir probieren an diesem Abend eine Praline von Gänsestopfleber auf Blattsalat, die Jungs hinterm Tresen mixen dazu einen Negroni - Campari, Roter Vermouth, Gin. Zur Ochsenschwanzsuppe (drei Tage gekocht) mit der handgemachten Käsestange gibts Cocktail Lisboa - Sherry, Limette, Rum. Ein Gang, ein Drink (sagt man Drink zum Cocktail?, wohl eher nicht, zu kulturlos!), das ist die Idee des Abends und sie hat es in sich, das merkt man schon nach dem zweiten Gang. Weber warnt, man könne zwischendurch auch mal auslassen, aber das ignorieren wir, leichtsinnig, wie sich zeigen wird. Zum winterlichen Salat Bouquet mit Sauce Cambridge (klein 3,50, groß 7,50) trinken wir Green Victoria, zu einem vorzüglichen Wildragout Hubertus im Pastetchen Brighton Punch, eine teuflische Mischung aus Bourbon, Cognac,Bénédictine, Orangensaft, Zitronensaft und Soda.

"The Pleasure of serious Drinking" ist der Leitspruch der Victoria Bar, was so viel heißt wie das Vergnügen am ernsthaften Trinken. Wozu jetzt eben auch der Spaß am guten Essen gehört. Als Dessert gibt es Apfel-Ziegenkäse-Lasagne (6,50), sehr frisch, dazu empfiehlt der Barkeeper Pisco Sour, ein Klassiker auf Brandy-Basis aus Peru und Chile. Eigentlich müssten wir dringend zu Wasser übergehen, wenigstens ein Weilchen, aber Apfel-Ziegenkäse-Lasagne mit Wasser? In der Victoria Bar? Das ist nicht Pleasure. Als wir dann noch erfahren, dass Pisco aus der Sprache der Inka kommen soll und fliegender Vogel heißt, ist die Sache entschieden. Wir fliegen. Zum Abschluss werden noch ein paar Petite Fours serviert, mit . Espresso? . nein, mit Champagner Flip, da kann man nun auch nicht mehr nein sagen. So nimmt der Abend seinen Lauf.